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Windräder entlang eines Gebirgsweges
Stellungnahme

Kurzstellungnahme zum Entwurf der Formulierungshilfe des Bundesnaturschutzgesetzes

13. Juni 2022

Vorbemerkung

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) haben am 10. Juni 2022 einen gemeinsamen Entwurf der Formulierungshilfe des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) vorgelegt. Der BEE begrüßt den Gestaltungswillen beider Häuser, eine bundeseinheitliche Regelung im Artenschutzrecht zu erarbeiten. Jedoch basiert der Entwurf auf fachlich falschen oder nicht nachvollziehbaren Grundannahmen und manifestiert gesetzlich einen nicht grundsätzlich gegebenen Konflikt. Statt Planungs- und Rechtssicherheit schafft der Gesetzgeber neue Hürden und Ausbaublockaden in Bezug auf den Artenschutz. Der BEE fordert daher eine Entschleunigung des Prozesses oder aber mindestens eine grundlegende Überarbeitung des Entwurfs im laufenden Gesetzgebungsprozess. 

Zum Hintergrund: Mit der vorliegenden Formulierungshilfe konkretisiert die Bundesregierung den gesetzlichen Rahmen zum naturverträglichen Ausbau Erneuerbarer Energien. Dies ist insbesondere für die Windenergie relevant. Der Ausbau von Wind-an-Land soll gemäß der im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) formulierten Ziele auf 10 GW für die Windenergie pro Jahr gesteigert werden. Dafür bedarf es neben Flächen und Verfahrensbeschleunigung Rechts- und Planungssicherheit im Zusammenhang mit Artenschutz und Windenergie in Form einer bundesweiten Standardisierung der artenschutzrechtlichen Prüfung. Der vorliegende Entwurf des BMWK und des BMUV baut auf dem im April veröffentlichten Eckpunktepapier „Beschleunigung des naturverträglichen Ausbaus der Windenergie an Land“ auf, der eine solche bundesweite Vereinheitlichung zu erzielen ersucht. Dieses Papier hat der Bundesverband WindEnergie (BWE) bereits ausführlich kommentiert und dringenden Änderungsbedarf angemahnt.1 Im Vergleich zum Eckpunktepapier verbessert der Entwurf des BnAtSchG zwar einige wenige Punkte. Er liefert jedoch in keiner Weise die für den massiven Ausbau der Windenergie erforderlichen Klarstellungen hinsichtlich der artenschutzrechtlichen Prüfungsfragen. Im Gegenteil: Es steht zu befürchten, dass neue Blockademöglichkeiten für Windenergieanlagen geschaffen werden. Damit die BNatschG-Novelle doch noch zu dem Ziel beschleunigter und vereinfachter Genehmigungsverfahren beiträgt, müssen daher dringend Änderungen vorgenommen werden.

Der Entwurf der Formulierungshilfe des BNatSchG wurde am Abend des Freitags, 10. Juni an die Verbände versandt, mit der Möglichkeit zur Stellungnahme bis Montag, den 13. Juni, Dienstschluss. Der Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. (BEE) kritisiert die äußerst kurze Frist zur Stellungnahme. Eine inhaltliche Kommentierung eines für die Energiewende so wichtigen Gesetzes kann und sollte nicht innerhalb weniger Stunden über das Wochenende hinweg geleistet werden. Außerdem kritisiert der BEE die direkte Einbringung des Gesetzes in den Bundestag über eine Formulierungshilfe, die eine geordnete Beteiligung von Verbänden umgeht. Der BEE mahnt die Bundesregierung daher nochmals an, ein geordnetes Verfahren zur inhaltlichen Beteiligung der Verbände mit einhaltbaren Fristen sicherzustellen.

Der BEE kommentiert im Folgenden den Entwurf zur Formulierungshilfe in Kürze vorbehaltlich einer ausführlichen Bewertung. Für eine detaillierte Darstellung verweisen wir auf die Stellungnahme des Bundesverband WindEnergie (BWE) bzw. die Stellungnahme des BWE zum Eckpunktepapier.2 
 

Kurzbewertung der Formulierungshilfe des Bundesnaturschutzgesetzes

Zwar begrüßt der BEE grundsätzlich, dass der Gesetzgeber wie im Koalitionsvertrag verankert eine bundeseinheitliche Bewertungsmethode in artenschutzrechtlichen Belangen erarbeitet. Jedoch ist die Umsetzung wie im Folgenden dargelegt nicht zielführend:

  • Der BEE kritisiert, dass der Entwurf der Formulierungshilfe die unwissenschaftliche Behauptung festschreibt, Windenergieanlagen würden für Vögel eine signifikante Tötungsgefahr darstellen. Diese Annahme ist nicht wissenschaftlich belegt und daher als Gesetzesgrundlage inakzeptabel. Kollisionen an Windenergieanlagen sind nachweislich sehr seltene Ereignisse. Ein pauschales Risiko für Individuen oder gar Vogelpopulationen ist im Zusammenhang mit der Windenergie nicht festzustellen. Im Gegenteil, die Bestände verschiedener Vögel entwickeln sich seit Jahren positiv.3 Gleichzeitig existieren bereits heute umfassende und strenge artenschutzrechtliche Vorgaben für Windenergieprojekte. Der vermeintliche “Zielkonflikt zwischen Artenschutz und Windenergieausbau” ist also de facto keiner, da die Windenergie nicht zuletzt durch ihren Beitrag zum Klimaschutz sich positiv auf den Artenschutz auswirkt.
  • Artenliste und Regelabstände: Der vorliegende Entwurf geht hinsichtlich der Artenliste und Regelabstände (Nah- und Prüfbereich) hinter den in der Umweltministerkonferenz (UMK) vereinbarten “Signifikanzrahmen” vom 11.12.2022 zurück. Die Erweiterung der Artenliste ist wissenschaftlich und rechtlich nicht nachvollziehbar, ebenso wenig wie die restriktive Regelvermutung im zentralen Prüfbereichen und im Nahbereich. Der BEE mahnt dringende Verbesserungen an (s.u.). 
  • Der Entwurf sieht eine neue Formel zur Berechnung der Zumutbarkeit und Höhe der Zahlung in Artenhilfsprogramme vor. Hinter dieser Regelung verbirgt sich ein völlig neuer Mechanismus, der vermeintlich tolerierbare Abschaltungen und Energieverluste festlegt. In der Praxis sind die Auswirkungen einer solchen Formel noch nicht abschätzbar. Der BEE fordert daher, die als zumutbar berechnete Abschaltungen vor dem Hintergrund der Wirtschaftlichkeit der Windenergieanlagen kritisch zu bewerten. Außerdem muss ein dauerhaft geminderter Stromertrag aus der installierten Leistung angesichts der erforderlichen Strommengenpfade auf dem Weg zur Treibhausgasneutralität kritisch bewertet werden.
  • Der Entwurf führt viele neue Rechtsbegriffe ein, deren Auslegung nicht klar ist. Die resultierende Unsicherheit birgt das Risiko zusätzlicher Hürden in Planungs- und Genehmigungsverfahren. Der BEE fordert hier rechtliche Klarstellung vom Gesetzgeber (s.u.). Zudem ignoriert der vorliegende Entwurf aktuelle Entwicklungen auf EU-Ebene, die zu einer Beschleunigung in den Genehmigungen führen (s.u.).

Fazit: Vor dem Hintergrund der unwissenschaftlichen Fehlannahmen und der mangelhaften Ausarbeitung des rechtlichen Rahmens im vorliegenden Entwurf werden Rechtssicherheit und Praxistauglichkeit nicht gewährleistet. Im Gegenteil: Es drohen neue Hemmnisse und Ausbaublockaden. Nur eine grundlegende Überarbeitung des Entwurfs vermag es, eine substantielle Verschlechterung für den Ausbau der Windenergie zu vermeiden. Der BEE empfiehlt dem Gesetzgeber daher dringend folgende Anpassungen im BNatSchG vorzunehmen4:

  1. Entsprechend den Empfehlungen der EU-Kommission vom 18.05.22 muss in § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG klargestellt werden, dass nur absichtliches Töten/Verletzen verboten ist und dass das beiläufige Töten/Verletzen nur einzelner Exemplare wildlebender und geschützter Arten kein Verstoß gegen das Tötungs- und Verletzungsverbot darstellt.
  2. Die Liste kollisionsgefährdeter Brutvogelarten ist als abschließend zu definieren. Arten und Prüfbereiche sind an den UMK-Signifikanzrahmen anzupassen und als Maximalstandard zu definieren.
  3. Es ist klarzustellen, dass der Nahbereich kein Tabubereich ist und dass im zentralen Prüfbereich auf Grundlage von Anhaltspunkten das mögliche Vorliegen eines signifikant erhöhtes Tötungsrisiko (seT) überprüft und nicht widerlegt werden muss. 
  4. Es ist klarzustellen, dass im erweiterten Prüfbereich keine Horstkartierung oder weiterführende Untersuchungen erforderlich sind. Die Beweislast eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos entgegen der Regelvermutung muss hier bei der Behörde liegen.
  5. Habitatpotentialanalyse: Es gilt festzustellen: Liegt am geplanten Standort eine nur leicht bessere, gleichwertige oder schlechtere Habitateignung vor als im Umfeld, kann ein seT ausgeschlossen werden. Ein seT kann nur gegeben sein, wenn auch eine deutlich erhöhte Habitatqualität am unmittelbaren WEA-Standort vorliegt. 
  6. Es gilt klarzustellen, dass ein Einsatz von Schutzmaßnahmen nur zu prüfen ist, sofern die Signifikanzschwelle überschritten wurde und dass durch sie kein Null-Risiko erzielt werden muss. Die Ausführungen zu den Schutzmaßnahmen und zur Zumutbarkeitsschwelle sind dringend auf Praxisauswirkungen und -tauglichkeit zu prüfen.
  7. Ausnahme: Bis auf die Festschreibung, dass der Betrieb von Windenergieanlagen im überragenden öffentlichen Interesse liegt und der öffentlichen Sicherheit dient, sind die Neuregelungen zum jetzigen Zeitpunkt nicht gesetzlich umzusetzen, sondern einer Praxisprüfung zu unterziehen. Insb. die Kopplung der Planungs- mit der Genehmigungsebene im Zuge der Alternativenprüfung würde zu massiven Rechtsunsicherheiten führen.
  8. Repowering: Die Neuregelungen sollten auch für Vorhaben außerhalb des §16b BImSchG gelten. Umfangreiche Einschränkungen der Anwendbarkeit („es sei denn …“) sind zu streichen oder auf ein zwingendes Mindestmaß zu reduzieren. Unbestimmte Begriffe wie „Dichtezentrum“ oder „Schwerpunktvorkommen“ sind zu streichen. Generell sind die Regelungen zum Repowering auf Praxistauglichkeit im Hinblick auf die Ziele Vereinfachung und Beschleunigung zu überprüfen.
  9. Die im Eckpunktepapier angekündigte Untersagung nachträglicher Anordnungen sollte ergänzt werden.
  10. Unbestimmte Rechtsbegriffe, wie z.B. Gefahrenbereich, Dichtezentrum, Schwerpunktvorkommen, sollten auf ein Mindestmaß reduziert werden. Für die Definition der verbleibenden Begriffe ist eine Verordnungsermächtigung für BMUV und BMWK zu erstellen.

Der BEE macht deutlich: Sofern diese Änderungen nicht erfolgen, ist in Gänze keine Verbesserung zu erwarten. Die gesteckten Ausbauziele sind damit nicht erreichbar. Zudem droht, dass laufende Genehmigungs- und Klageverfahren massiv mit weiteren Unsicherheiten belastet werden. 
 

1 Siehe BWE Stellungnahme zum Eckpunktepapier der Bundesregierung: Beschleunigung des naturverträglichen Ausbaus der Windenergie an Land. 
Siehe BWE Stellungnahme zum BNatSchG und die BWE Stellungnahme zum Eckpunktepapier.
Siehe BWE Faktencheck Windenergieanlagen und Vogelpopulation.
Für eine detaillierte Ausarbeitung der Forderungen siehe BWE Stellungnahme vom 13.06.22.

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