Der Prozess des Redispatch 2.0 weist seit dem 1. Oktober 2021 erhebliche Umsetzungsprobleme auf. Durch die Komplexität und den Umfang der Umstellung vom Einspeisemanagement auf den Redispatch 2.0 existieren Probleme innerhalb der gesamten Prozesskette.
Viele der Probleme basieren auf der nicht ausbalancierten IT-Infrastruktur. Die Entwicklung der IT-Fortschritte bei den Netzbetreibern und angeschlossenen Dienstleistern (Dataprovider) werden nicht ausreichend konsequent nachverfolgt. Dadurch bleiben Umsetzungslücken unerkannt, was deren Behebung oder die Einleitung verfahrensrechtlicher Schritte verhindert.
Der Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. (BEE) plädiert für eine angemessene Umsetzung des Redispatch 2.0 in den Prozessen, wie sie initial bereits für den 1. Oktober 2021 vorgesehen waren.
Des Weiteren wirbt der BEE dafür die Erneuerbaren-Verbände direkt in die Abstimmungen in die sachgerechte und effiziente Lösungsfindung zu den fundamentalen Fragen des Redispatch einzubeziehen.
Nachfolgend stellen wir die Kernaspekte dar, welche aus Sicht des BEE eine praxisgerechte Umsetzung des Redispatch 2.0 behindern, um ferner einige Vorschläge für sachgerechte Lösungen bestehender Probleme anzubringen.
Eine korrekte Bewirtschaftung durch die Bilanzkreisverantwortlichen (BKV) im Redispatch 2.0 kann nur dann sichergestellt werden, wenn das Modell des bilanziellen Ausgleichs bzw. alternativ die finanzielle Kompensation durch den jeweiligen Netzbetreiber verbindlich definiert wird. Eine nachträgliche Änderung des gewählten Modells für den Folgemonat muss wie in der Übergangslösung ausgeschlossen sein, da die Überführung in den bilanziellen Ausgleich bei den BKV einer entsprechenden Umsetzung in den Systemen bedarf. Dies ist ohne angemessenen Vorlauf nicht möglich. Daher hat die Bundesnetzagentur am 4. Februar 2022 in der Mitteilung 8 der Beschlusskammer 6 definiert, dass ein angemessener Vorlauf von mindestens vier Wochen vor Beginn des bilanziellen Ausgleichs notwendig ist. Der bilanzielle Ausgleich soll dabei immer zum Ersten eines Monats beginnen, was ebenfalls durch die entsprechende Mitteilung klargestellt wurde.
Die Möglichkeit zur Nutzung der Übergangslösung mit einer finanziellen Kompensation der beschafften Ausfallarbeit anstatt eines bilanziellen Ausgleichs, wie er eigentlich in den korrekten Redispatch 2.0 Prozessen vorgesehen wäre, stellt die betroffenen BKV vor große Herausforderungen.
Bereits im Mai 2022 hat sich gezeigt, dass Netzbetreiber vom von der Bundesnetzagentur (BNetzA) vorgeschlagenen Vorgehen abweichen und die vierwöchige Frist nicht einhalten. So wurde der Start des bilanziellen Ausgleichs von einigen Netzbetreibern bereits Anfang Mai 2022 per Mail den betroffenen BKV mitgeteilt, um dies kurze Zeit später zu widerrufen. Trotzdem finden sich diese Netzbetreiber Mitte Mai auf der sogenannten BDEW-Transparenzliste wieder, in der die Netzbetreiber gelistet sind, welche den bilanziellen Ausgleich eigentlich bedienen können.
Der BEE fordert an dieser Stelle eine einheitliche, verbindliche und zentrale Liste, welche tagesaktuell geführt wird und nach welcher sich die komplette Energiebranche richten muss. Es ist nicht zielführend bzw. umsetzbar, gegenteilige Mitteilungen über verschiedene Kanäle an die betroffenen Stakeholder weiterzuleiten. Nur ein einheitliches Vorgehen kann sicherstellen, dass alle Akteure die Zuverlässigkeit und Sicherheit des Energiesystems durch ausgeglichene Bilanzkreise garantieren können.
Weiterhin lehnt der BEE eine, wie von der BNetzA vorgeschlagene, ausschließliche Informationsbereitstellung auf den Internetseiten der Übertragungsnetzbetreiber und der betroffenen Verteilnetzbetreiber ab. Wir fordern eine direkte Information durch die Netzbetreiber an die Einsatzverantwortlichen sowie eine gesammelte Veröffentlichung an zentraler Stelle. Eine alleinige Holschuld der Einsatzverantwortlichen steht in klarem Widerspruch zu den im EnWG geregelten Verantwortlichkeiten.
Nach Ansicht des BEE sind die Netzbetreiber seit Oktober 2021 ihrer Mitteilungspflicht zu Redispatch-Maßnahmen gemäß EnWG unzureichend nachgekommen. Diese zwang die bilanzkreisverantwortlichen Direktvermarktungsunternehmen, Abrufinformationen und weitere Daten zu Abrechnungszwecken bei den Netzbetreibern separat anzufragen oder, sofern möglich, auf Portale des Einspeisemanagements zurückzugreifen. Informationen zu durchgeführten Maßnahmen waren und sind dabei unvollständig und zu einem großen Teil fehlerhaft, wie durch eine Vielzahl der im BEE organisierten Direktvermarktungsunternehmen belegt wurde. Ein daher notwendiges Clearing musste bzw. muss von den BKV angestoßen werden. Die Unterstützung durch viele Netzbetreiber diesbezüglich war und ist weiterhin unzureichend. Eine vorausschauende Durchführung des Redispatch durch die Netzbetreiber ist daher bis heute nicht zu erkennen.
Einen überwiegenden Anteil der Redispatch-Informationen erhalten die Einsatzverantwortlichen der Anlagen, welche in der Regel die betroffenen Direktvermarkter sind, verzögert, d.h. es handelt sich bis heute fast ausschließlich um „kurativen“ Redispatch ohne vorausschauendes Agieren seitens der Netzbetreiber. Dies resultiert unter anderem in dem Umstand, dass die Abrufinformationen die Einsatzverantwortlichen erst 5 – 10 Minuten nach erfolgter Ansteuerung der Anlagen erreichen.
Weiterhin ist die Marktkommunikation zur Ausfallarbeit zwischen Netzbetreiber und dem sogenannten „Betreiber der technischen Ressource“ (BTR) ebenfalls bis heute sehr unvollständig, so dass eine Verwendung des Erstaufschlags des Netzbetreibers in den seltensten Fällen zur Abrechnung gebracht werden kann. Durch die notwendige Abstimmung der Ausfallarbeit und den Verzögerungen durch unvollständige Informationen seitens der Netzbetreiber ist eine zeitnahe Auszahlung des finanziellen Ausgleichs weiter nicht möglich. Nach über 6 Monaten droht nun vielen Erzeugern bzw. EE-Anlagenbetreiber eine Liquiditätsklemme.
Mit der Mitteilung Nr. 9 zum Redispatch vom 3. Mai 2022 durch die Beschlusskammern 6 und 8 der Bundesnetzagentur kann die bestehende Übergangslösung zum bilanziellen Ausgleich de facto auf unbestimmte Zeit verlängert werden. Zwar gibt es weiterhin Kriterien, welche die Netzbetreiber berücksichtigen müssen, um die Kosten der finanziellen Kompensation von Ausgleichsenergie, welche durch BKV beschafft wurde, auf die Allgemeinheit zu wälzen, doch aus Sicht des BEE bildet die Mitteilung Nr. 9 nur einen Teil des Problems ab.
So findet sich in der Mitteilung eine einseitige Darstellung der Kommunikationslücken zulasten der Einsatzverantwortlichen und damit implizit eine Schuldzuweisung an den Risiken einer verspäteten Einführung der Zielprozesse. Die verspätete, unvollständige und fehlerhafte Bereitstellung von Informationen über Redispatch-Maßnahmen durch die Netzbetreiber findet dagegen keine Erwähnung, obwohl dies einen dauerhaften Verstoß gegen das EnWG bedeutet.
Vollständig fehlt eine Aussage der Bundesnetzagentur, dass im Falle eines Ausbleibens des bilanziellen Ausgleichs durch den Netzbetreiber eine finanzielle Kompensation an den BKV stets zu leisten ist, unabhängig von einer Wälzbarkeit der Kosten in die Netzentgelte. Die Zielprozesse sahen ursprünglich einen funktionierenden bilanziellen Ausgleich vor. Kann dieser durch den Netzbetreiber nicht gewährleistet werden, darf das finanzielle Risiko für die zu beschaffende Ausgleichsenergie zum Ausgleich der Bilanzkreise nicht auf die jeweiligen Bilanzkreisverantwortlichen übergehen, welche die Redispatch-Maßnahme weder angeordnet haben noch der Grund für den flächendeckend nicht möglichen bilanziellen Ausgleich sind.
Grundsätzlich bedauert der BEE, dass die Etablierung eines Enddatums des Mischsystems durch die Bundesnetzagentur nicht veröffentlicht wurde. Damit fehlt ein Zeitpunkt, zu dem der bilanzielle Ausgleich durch den Netzbetreiber zu erfolgen hat. Damit droht eine dauerhafte Bewirtschaftung durch den Bilanzkreisverantwortlichen.
Der BEE weist mit Nachdruck darauf hin, dass der ab dem 1. Juni zwangsläufig entstehende „Flickenteppich“ im Verteilnetz (bilanzieller Ausgleich, wälzbarer finanzieller Ausgleich, nicht wälzbarer finanzieller Ausgleich) die BKV vor erhebliche Bewirtschaftungsrisiken stellt, für die jegliche rechtliche Grundlage fehlt. Dieses System lehnt sich nur bedingt an jenes an, welches zum 1. Oktober 2021 starten sollte und welches sowohl politisch als auch medial als funktionierend und effizient dargestellt wurde.
Der BEE hält es insbesondere vor dem Hintergrund des Mischsystems für unabdingbar, die Durchführung des bilanziellen Ausgleichs durch die Bilanzkreisverantwortlichen und die finanzielle Vergütung durch die Netzbetreiber kurzfristig auf eine klare, rechtliche Grundlage zu stellen, welche über die Mitteilungen der Bundesnetzagentur hinausgeht.
Trotz des Umstandes, dass aktuell immer noch zahlreiche BKV die Ausfallarbeit beschaffen müssen, sollen mindestens die Abrufinformationen durch die Verteilnetzbetreiber vollständig übermittelt werden. Ein diesbezügliches Monitoring der Einhaltung des EnWG durch die Bundesnetzagentur ist zwingend vonnöten, da die Praxis leider zeigt, dass die entsprechende Kommunikation an dieser Stelle nur lückenhaft gewährleistet werden kann. Daher ist eine weitgehende Haftungsfreistellung der BKV erforderlich, d.h. es müssen klare Regelungen zur Haftung der Netzbetreiber für fehlende, verspätete oder falsche Informationen über RedispatchMaßnahmen durch den Regulator getroffen werden.
Wie bereits dargestellt, wird durch die Mitteilung 9 der Beschlusskammer 6 und der Beschlusskammer 8 die bereits bestehende Übergangslösung in weiten Teilen verlängert. Dadurch entstehen den BKV weiterhin hohe Kosten für das Datenclearing, für die Abwicklung der Abrechnungsprozesse des finanziellen Ausgleichs sowie für das Einholen der Debitorendaten des Netzbetreibers. Diese müssen durch die BKV gegenüber den Netzbetreibern aufwandsgerecht geltend gemacht werden können. Es ist an dieser Stelle aus Sicht des BEE nicht hinnehmbar, dass ein Teil der am Prozess beteiligten Stakeholder diese Kosten selbst tragen muss, obwohl die Ursachen des Problems durch die jeweiligen Akteure nicht beeinflusst werden können. Besonders in den IT-Systemen sorgt die Umsetzung der Mischsysteme (bilanzieller Ausgleich, wälzbarer finanzieller Ausgleich, nicht wälzbarer finanzieller Ausgleich, siehe oben) bei den Bilanzkreis- bzw. Einsatzverantwortlichen zu zusätzlichen Aufwänden und zusätzlichen Kosten, welche nicht durch den finanziellen Ausgleich gedeckt sind.
Ein Grund für unnötig hohe Kosten an dieser Stelle sind die nicht standardisierten Abstimmungs- und Abrechnungsprozesse, sodass die Geltendmachung der Ansprüche der BKV gegenüber dem Netzbetreiber in individueller Form geleistet werden muss. Eine harmonisierende Vorgabe ist daher dringend angeraten.
Teil der Übergangslösung muss es sein, eine finanzielle Kompensation für den fehlenden bilanziellen Ausgleich bereitzustellen, um damit den zusätzlichen Aufwand der EIV zu entschädigen. Wie bereits dargestellt, führen die verzögerten Abstimmungs- und Abrechnungsprozesse und die mangelhafte Stammdatenlage weitestgehend zu einem Ausbleiben der finanziellen Ausgleichszahlungen im aktuellen Mischsystem. Dies gilt auch für die Kompensation der entgangenen Erträge und Marktprämie durch RD-Maßnahmen gegenüber. den BTR. Insbesondere kleinere Anlagen und landwirtschaftliche Betriebe, welche im hohen Maß durch RedispatchMaßnahmen abgeregelt werden, sind stark von den ausbleibenden Zahlungsflüssen betroffen. Selbst größere Windparkbetreiber melden seit April 2022 trotz der weiterhin hohen Marktwerte vermehrt Liquiditätsprobleme. So haben bereits einzelne Stakeholder in den ersten 5 Monaten seit Oktober 2021 offene Entschädigungsforderungen gegenüber den jeweiligen Netzbetreibern im niedrigen zweistelligen Millionenbetrag. Auf Basis weiterer Rückmeldungen von Stakeholdern und entsprechender Hochrechnungen schätzt der BEE, dass in Deutschland ein mittlerer dreistelliger Millionenbetrag an offenen Forderungen aufgrund von Redispatch vorhanden sind.
Der BEE mahnt hierbei an, dass derartige Probleme nicht zur Insolvenz kleinerer oder finanziell schwächer aufgestellter Unternehmen führen dürfen! Es muss Ziel aller Beteiligten sein, dass Zahlungsströme zeitnah flächendeckend zu kommunizieren und abzustimmen sind.
Hierbei wäre die Etablierung eines Abschlagsystems auf Basis der durch den BTR ermittelten Ausfallarbeit für den finanziellen Ausgleich gegenüber dem BKV und damit gegegenüber dem Anlagenbetreiber eine kurzfristige Möglichkeit Liquiditätsengpässe aufzulösen bzw. zu verhindern.
Der Erstaufschlag könnte hier durch den BTR erfolgen und somit ein bilaterales Clearing ermöglichen. Dies wäre jedoch entgegen den aktuellen Festlegungen der BNetzA und benötigt Prozesssicherheit für die Beteiligten.
Jede weitere Verzögerung bei der Auszahlung von Kompensationszahlungen führt zu erhöhter Wahrscheinlichkeit von Liquiditätsengpässen auf Seiten der Anlagenbetreiber und erhöht das Risiko steigender Kosten auf Seiten der Netzbetreiber, da nicht klar ist, ob unter Umständen geäußerte Schadensersatzansprüche der Betreiber auf die Netzumlage gewälzt werden können. Rechtsstreitigkeiten sind somit vorprogrammiert. Respektive des bereits abgeschätzten mittleren dreistelligen Millionenbetrags an offenen Forderungen, würden sich die Kosten des Redispatch deutlich erhöhen und somit einen erheblichen Schaden für die Allgemeinheit entstehen lassen.
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