Mit dem „Legislativpaket zu Wasserstoff und Gasmarktdekarbonisierung“, das den zweiten Teil des „Fit for 55“-Paketes darstellt, soll der europarechtliche Rahmen für den Gasmarkt an die Ziele des Green Deals angepasst werden. Das Legislativpaket umfasst u.a. Vorschläge für eine Gasmarktbinnenrichtlinie (GasBM-RL) und eine Gasmarktverordnung (GasBM-VO) über gemeinsame Vorschriften für die Binnenmärkte für erneuerbare Gase und Erdgas sowie Wasserstoff. Der Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. (BEE) begrüßt die Möglichkeit zur Stellungnahme und wird im Folgenden die oben genannten Dokumente im Hinblick auf die Erreichung der europäischen Energie- und Klimaziele bewerten.
In den vorliegenden Entwürfen zur GasBM-RL und GasBM-VO werden erneuerbare und kohlenstoffarme Gase in der Anreizsetzung weitgehend gleichgestellt. Dies behindert den Einsatz erneuerbarer Energien, während fossile und nukleare Energieträger stark von der ausbleibenden Unterscheidung profitieren. Die Folge wäre insbesondere eine dauerhafte Abhängigkeit von fossilem Gas. Dies läuft den klima- und sicherheitspolitischen Zielen der EU entgegen. Die bisher vage Definition kohlenstoffarmer Gase sollte deshalb präzisiert und klar von den erneuerbaren Gasen abgegrenzt werden. Kapitel 4 der GasBM-RL sollte anschließend dahingehend überarbeitet werden, dass erneuerbare Gase (insb. erneuerbarer Wasserstoff) bessergestellt werden als kohlenstoffarme Gase. Insbesondere sollte es separate Ziele für erneuerbares Gas und einen klaren Einspeisevorrang für erneuerbares Gas gegenüber kohlenstoffarmem und fossilem Gas geben.
Der BEE begrüßt grundsätzlich, ein Enddatum für die Nutzung von Erdgas festzulegen. Das in Art. 27.2 der GasBM-RL genannte Jahr 2049 ist als Zeitpunkt jedoch für viel zu spät und wenig ambitioniert. Neben einer deutlichen Vorverlegung des Endausstiegsdatums für fossiles Gas sollten außerdem klare Zwischenziele festgelegt werden, die den Übergang erleichtern und Investitionssicherheit gewährleisten. Der BEE schlägt daher vor, solche konkreten Zwischenziele für die Mindernutzung von fossilem Gas in die GasBM-VO aufzunehmen.
Kohlenstoffarme Gase sollen 70 % der Treibhausgasemissionen einsparen, wie in der Richtlinie über erneuerbare Energien festgelegt. Es ist jedoch nicht klar, was der fossile Vergleichswert ist und wie genau die Berechnungen durchgeführt werden sollen. Der BEE lehnt es ab, dies in einem separaten delegierten Rechtsakt zu regeln. Vielmehr sollten die Berechnungsregeln in den Anhang der vorliegenden GasBM-VO aufgenommen werden.
Die europäische Gasinfrastruktur muss zukünftig darauf ausgelegt sein, zu 100 % mit Erneuerbaren Gasen gespeist zu werden. Maßnahmen zum langfristigen Umbau der Infrastruktur müssen sich aus diesem Grund daran messen lassen, ob sie für den Transport, sowie die dezentrale Einspeisung und Speicherung von Wasserstoff und anderen erneuerbaren Gasen benötigt werden. Ist dies nicht der Fall, sollte ein Rückbau bestehender Infrastruktur erfolgen.
Der Aufbau eines eigenen Wasserstoffnetzes muss kostenoptimal umgesetzt werden und sich auf jene Anwendungen und Gebiete beschränken, in denen keine alternativen Dekarbonisierungsoptionen zur Verfügung stehen. Die großflächige Wasserstoffversorgung von Verbrauchern im Gebäudebereich wäre beispielsweise zu kostenintensiv, zumal hier mit der Wärmepumpe eine Alternative mit viel geringeren Effizienzverlusten zur Verfügung steht.
Artikel 31 der GasBM-RL (Zugang zu Wasserstoffinfrastruktur) sieht einen geregelten Zugang Dritter zu Wasserstoffnetzen vor. Gemäß Artikel 31 Abs. 4 können Mitgliedssaaten jedoch bis zum 31. Dezember 2030 den geregelten Zugang Dritter ablehnen (Opt- out) und Regelungen zu ausgehandelten Netzzugängen anwenden.
Die genannte Opt-out-Frist ist aus Sicht des BEE viel zu lange und würde bedeuten, dass die ersten IPCEI-Projekte, die sich auf H2-Pipelines beziehen (bestehende Erdgaspipelines werden in H2-Pipelines umgewandelt und mit neuen Bauteilen ergänzt, um Nachfrage und Angebot zu überbrücken) sich nicht auf Regelungen zum regulierten Zugriff Dritter verlassen könnten.
Angesichts der aktuellen politischen Ereignisse ist davon auszugehen, dass mehr Wasserstoffnetze früher als ursprünglich erwartet in Betrieb gehen werden müssen. Die Notwendigkeit eines regulierten Netzzugangs ist umso dringender. Daher sollten die Mitgliedstaaten Dritten Zugang zu Wasserstoffnetzen spätestens ab 2026 gewähren müssen. Dies würde die Bemühungen der Mitgliedstaaten beschleunigen, die erforderlichen Regulierungssysteme, Regeln und Leitlinien festzulegen.
Der BEE unterstützt den Artikel 31 der GasBM-RL und weist auf dessen Bedeutung hin. Klare Netzzugangsregeln sind entscheidend für den Hochlauf erneuerbarer Gase in Europa.
Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber optimieren ihre Netze derzeit häufig aus der Sicht der Netzinfrastruktur und vernachlässigen dabei die Entwicklung der Wasserstoffangebots- bzw. nachfrageseite. Echte Energiesystem- und Kosteneffizienz kann hierdurch nicht erreicht werden.
Um eine Verzerrung der Netzoptimierung zu verhindern, sollten die Netzbetreiber deshalb den Zugang und Anschluss für erneuerbares Gas nicht verweigern dürfen.
Der BEE begrüßt das Ziel, in einem delegierten Rechtsakt zu Wasserstoff klare Kriterien für die Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff hinsichtlich der Zusätzlichkeit sowie des zeitlichen und geografischen Zusammenhangs zu definieren und hat die aus seiner Sicht notwendige rechtliche Rahmensetzung in seiner Stellungnahme zum deutschen Erneuerbare Energien-Gesetz 2021 formuliert.1
Insbesondere das Kriterium der Zusätzlichkeit ist hierbei von großer Relevanz. Statt dieses (wie in den aktuell vorliegenden Entwürfen zum delegierten Rechtsakt) über das Datum der Inbetriebnahme einer Anlage zu definieren, sollte das entscheidende Kriterium sein, ob der zur Wasserstofferzeugung genutzte Strom gefördert wird oder nicht. Anstelle des Rückbaus von Anlagen, die aus planungs- und genehmigungsrechtlichen Gründen nicht ertüchtigt werden können, würde die Wasserstoffproduktion die sinnvolle Nutzung und den Erhalt der vorhandenen Kapazitäten ermöglichen. Hinsichtlich des Zeitraums des Inkrafttretens der Zusätzlichkeitskriterien sollten für Strom aus direkt angeschlossenen Anlagen und Strom aus dem Netz die gleichen Regeln gelten. Der BEE würde es begrüßen, wenn sich solche Regeln auch in der Gasmarktregulierung wiederfinden würden.
Der BEE unterstützt den in Kapitel 8 der GasBM-RL formulierten Vorschlag einer integrierten Netzentwicklungsplanung. Gerade in Bezug auf die Bereitstellung von erneuerbarem Wasserstoff als neuem, wichtigem Energieträger der Zukunft ist eine integrierte Planung der einzelnen Netzsektoren (Strom, erneuerbarer Wasserstoff, andere erneuerbare Gase, Wärme) von großer Bedeutung.
Wichtig ist, dass die europäische Netzentwicklungsplanung die Pariser Klimaziele berücksichtigt und deren Umsetzung ermöglicht. Nicht ausreichende nationale Klimaschutzziele einzelner Mitgliedsstaaten (Artikel 51 Abs. 2 g) GasBM-RL) dürfen einer solchen Netzentwicklungsplanung nicht im Wege stehen.
Der BEE unterstützt die in Kapitel 2 der GasBM-RL beschriebene Liberalisierung des Gasmarktes und die Stärkung der Kund*innen. Zentral ist hierbei allerdings die Herstellung größtmöglicher Transparenz, damit Kund*innen informierte Entscheidungen über die Auswahl ihrer Gasprodukte treffen können.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, Kund*innen nicht nur mit Informationen zur THG-Emissionsminderung zur Auswahl stehender Gase zu versorgen, sondern auch mit Informationen zu deren Herstellung. Eine klare Unterscheidung zwischen erneuerbaren, kohlenstoffarmen und fossilen Gasen muss möglich sein.
Zur Transparenz gehört auch, dass in die ausgewiesenen THG-Emissions-Berechnungen alle Upstream/Vorketten-Emissionen mit einbezogen werden. Die Produktion etwa von kohlenstoffarmen Gasen ist in der Vorkette mit hohen Kohlenstoffemissionen belastet. Es sollten deshalb klare Regeln zur Berechnung der vollständigen Emissionen der zur Auswahl stehenden Gasprodukte aufgestellt werden, verbunden mit einer Ausweispflicht dieser Emissionen gegenüber den Kund*innen.
Mit dem Vorhaben eines „Legislativpakets zu Wasserstoff und Gasmarktdekarbonisierung“ geht die große Chance einher, den europäischen Gasmarkt grundlegend zu reformieren und auf die europäischen Klima- und Energieziele auszurichten.
Aus Sicht des BEE wird dieses gesteckte Ziel durch die vorliegenden Vorschläge zur Ausgestaltung einer GasBM-RL und GasBM-VO jedoch weitgehend verfehlt.
Problematisch ist insbesondere, dass in der Anreizsetzung nicht grundlegend zwischen erneuerbaren und kohlenstoffarmen Gasen unterschieden wird. Außerdem ist der Ausstiegszeitpunkt für dien Nutzung von fossilem Gas mit dem Jahr 2049 viel zu spät gesetzt. Die vorgeschlagenen Festlegungen konterkarieren alle Bemühungen schnellstmöglich zu einem zu 100 % erneuerbaren und vollständig defossilisierten Energiemarkt zu kommen.
Der BEE fordert einen klaren Vorteil für erneuerbares Gas, um Investitionen in die richtige Richtung zu lenken. Dazu gehören separate Ziele sowie ein klarer Einspeisevorrang für erneuerbares Gas gegenüber kohlenstoffarmem und fossilem Gas. Wichtig ist außerdem, dass die Gasnetzinfrastruktur vollständig auf die dezentrale Einspeisung und Speicherung von erneuerbarem Wasserstoff und anderen erneuerbaren Gasen ausgerichtet wird.
Die vorliegenden Vorschläge zur GasBM-RL- und GasBM-VO weisen in einigen Bereichen in die richtige Richtung, etwa bei der beabsichtigen Liberalisierung des Gasmarkts und den Regelungen zum grenzüberschreitenden Netztransport von Wasserstoff. Insgesamt versäumen es die Vorschläge der europäischen Kommission jedoch, einen umfassenden Rahmen zu schaffen, um den Verbrauch von fossilem Gas in der gesamten EU bereits vor 2049 erheblich zu reduzieren und gefährden somit die sich von der EU selbst gesteckten Klima- und Energieziele. Hier sollte deshalb dringend nachgebessert werden.
1 Siehe Kapitel 1.2. in dieser BEE-Stellungnahme
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