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Positionspapier

Leitplanken für einen Industriestrompreis

29. September 2023

DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE

Der Gaslieferstopp im Zuge des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieges auf die Ukraine hatte erhebliche Auswirkungen auf die europäischen und deutschen Energiemärkte. Insbesondere auf dem Strommarkt sorgte der „Angebotsschock“ für nie dagewesenen Preissprünge. Die Bundesregierung reagierte auf die fossile Energiekrise mit Preisbremsen für Verbraucher*innen und Haushalte und sicherte die Versorgungssicherheit durch eine kurzfristige Beschaffung von Ersatzlieferungen von Gas und LNG. Mittel- bis langfristig soll der heute schon zu beobachtende strompreissenkende Effekt der Erneuerbaren Energien genutzt und deren Ausbau deshalb beschleunigt werden.

In der Folge ist heute das Preisniveau auf dem Strommarkt zwar wieder gesunken, befindet sich jedoch nach wie vor auf einem erhöhten Niveau gegenüber dem Vorkriegsniveau. Für besonders energieintensive Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb mit Anbietern aus Niedrigpreisländern sowie zu staatlichen Unterstützungsprogrammen in anderen Ländern, wie dem „Inflation Reduction Act“ in den USA, stehen, kann dies existenzgefährdend sein. Daher wird aktuell von energieintensiven Branchen und aus der Politik ein

„Industriestrompreis“ oder „Transformationsstrompreis“ gefordert. Dieser Industriestrompreis soll die Kostensteigerungen vor allem in den Grundstoffindustrien im Bereich der Chemie-, Stahl-, Metall-, oder Papierindustrie abmildern und so bis zum Ende dieser Dekade ihre Wettbewerbsfähigkeit sichern. Auch der Transformationsdruck und die Notwendigkeit einer resilienten Rohstoffversorgung über alle Wertschöpfungsstufen sind von Bedeutung für die Zukunft des Industriestandorts.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat bereits Anfang Mai ein erstes Arbeitspapier vorgelegt.1 In dem Papier wird bis 2030 ein „Brückenstrompreis“ vorgeschlagen, der bis 2030 einen wettbewerbsfähigen Strompreis von 6 Cent je Kilowattstunde für energieintensive Unternehmen und Transformationsindustrien (z.B. Photovoltaik oder Batterien) vorsieht. Langfristig sollen ab 2030 durch verschiedene Maßnahmen (z.B. kurzfristige Flächenbereitstellung, PPA-Förderung, etc.) erleichtert Erneuerbarer-Energien-Strom preisgünstig bereitgestellt werden.2

Ähnlich dem BMWK-Vorschlag zum Brückenstrompreis sieht das am 28.08.2023 vorgestellte Konzept der SPD-Bundestagsfraktion einen Transformationsstrompreis von 5 Cent je Kilowattstunde für energieintensive Industrieunternehmen vor, was der Definition des „Brückenstrompreises“ des BMWK entspricht.3 Diverse politische und gesellschaftliche Akteure haben sich in die Debatte eingebracht, nicht zuletzt die Ministerpräsident*innen der Bundesländer mit einer in Brüssel verfassten gemeinsamen Erklärung.4

Im Folgenden bewertet der Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. (BEE) den generellen Vorschlag für einen Industriestrompreis aus Sicht der Erneuerbaren Energien.5

Fazit:

Ein Industriestrompreis ist aufgrund der aktuellen Wettbewerbssituation nachvollziehbar, muss aber im Umfang des Empfängerkreises und hinsichtlich der Dauer der Maßnahme strikt begrenzt sein. Eine Brücke braucht Pfeiler. Zudem hilft eine „Strompreisbrücke“ nur insoweit, als dass das „Ufer“, also die ausreichende Verfügbarkeit kostengünstigen Erneuerbaren-Energien-Stroms beschleunigt erreicht wird. Ein Industriestrompreis muss also an die sogenannte Grüne Konditionalität gebunden sein. Negative Folgen für den Strommarkt und nachteilige Auswirkungen auf die Dekarbonisierung und Flexibilisierung von Industrieunternehmen gilt es unbedingt zu vermeiden.

Bereits heute führt die Debatte beispielsweise zu einer Zurückhaltung der Marktteilnehmer*innen beim Abschluss von PPAs. Gleichwohl ist eine OPEX-Förderung generell sinnvoll, auch um Zukunftsindustrien wie z.B. Teile der PV-Industrie in Deutschland wieder anzusiedeln bzw. neue Technologien anzuziehen. Die Energiewende darf nicht verlangsamt, sondern muss beschleunigt werden. Nur der schnellere Ausbau der Erneuerbaren Energien wird Preis- und Versorgungssicherheit gewährleisten.

Folgende Leitplanken empfiehlt der BEE:

  1. Nur Erneuerbare ermöglichen Preisstabilität: Es bedarf weiterer Erleichterungen und den Abbau von regulatorischen Hemmnissen (u.a. auch für den stärkeren Ausbau Erneuerbarer Energien im Gewerbe- und Industriebereich) für Eigenverbrauch bzw. Direktbelieferung von Unternehmen, Industrie und Gewerbe.
  2. Nachweispflicht zur Flexibilisierung und Dekarbonisierung für Unternehmen, damit der Ausbau der Erneuerbaren und die Sektorenkopplung nicht beeinträchtigt werden. Zusätzlich sollte der Brückenstrompreis daran gekoppelt sein, dass begünstigte Unternehmen den regionalen erneuerbaren Ausbau selbst oder über Kooperationen im regionalen Kontext vorantreiben.
  3. Negative Auswirkungen auf Märkte für Power-Purchase-Agreements (PPA)6 und Terminmärkte müssen vermieden werden, damit Anreize erhalten bleiben und diese Märkte nicht austrocknen.
  4. Klare Begrenzung des Empfängerkreises und des Zeitraums der begünstigten Unternehmen: Aufgrund der negativen Auswirkungen auf den Strommarkt muss der Empfängerkreis und Zeitraum sehr eng gefasst werden, Transformationstechnologien umfassen und nach strengen Transformationskriterien wiederholt geprüft werden.
  5. Prüfung des Abbaus von Umlagen und Steuern für alle Verbraucher, um negativen Verteilungsfolgen eines Industriestrompreises im Strommarkt ggf. vorzubeugen und den PPA-Markt zu stärken.
  6. Ein Industriestrompreis darf nicht mit der verpflichtenden Einführung eines Contracts-for-Difference (CfDs) für andere EE-Anlagen einhergehen.

Die Umsetzung des Industriestrompreises sollte dabei in der Abwicklung auf der bestehenden Infrastruktur der Entlastungsseite der Strompreisbremse aufsetzen, um den Koordinierungs- und Abrechnungsaufwand sowie die Umsetzungskosten so gering wie möglich zu halten.

 

1. Nur Erneuerbare ermöglichen langfristige Preisstabilität: Weitere Erleichterungen für den Zubau für Unternehmen und Industrie sind notwendig

Die Preissprünge aus dem Jahr 2022 sind Ergebnis einer über Jahrzehnte gewachsenen fossilen Abhängigkeit. Die Energiepreiskrise hat verdeutlicht, dass der Ausbau günstiger, heimischer Erneuerbarer Energien forciert vorangetrieben werden muss, um Resilienz und Bezahlbarkeit der Energieversorgung zu stärken. Nur eine Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien ermöglicht Preisstabilität und Versorgungssicherheit. Erneuerbare Energien senken bereits heute die Strompreise und sparen somit volkswirtschaftliche Kosten ein: In Zeitfenstern mit hoher Einspeisung durch Erneuerbare Energien sinken die Strompreise durch den Merit-Order-Effekt auf Preise bis zu null Cent und darunter. Der starke Zubau von Wind und Photovoltaik muss einhergehen mit dem Ausbau von Flexibilitäten im Energiesystem, wie flexibel steuerbare Erneuerbare (Bioenergie, Wasserkraft, Geothermie), grüner KWK, Speichern und Power-to-X, damit der Preisvorteil durch Erneuerbare auch in Zeiten mit geringer EE-Einspeisung an die Verbraucher*innen und Haushalte weitergegeben werden kann (siehe Ausführungen in Punkt 5 auf Seite 10).7

Um den Preisvorteil durch Erneuerbare Energien auch Unternehmen und Industrien zukommen zu lassen, muss die Bundesregierung Maßnahmen aus dem Koalitionsausschuss vom März 2023 umsetzen und darüber hinaus weitere Erleichterungen für den Zubau Erneuerbarer Energien vornehmen.8 Es bedarf weiterer bau-, genehmigungs- und energierechtlicher Erleichterungen sowie Verbesserungen im Erneuerbare-Energien-Gesetz sowie einschlägigen Förderprogrammen für eine verbesserte Eigenversorgung von Gewerbe und Industrie.9

BEE-Empfehlung:

Der Industriestrompreis muss von Eigenversorgungs- bzw. Direktlieferungskonzepten flankiert werden, damit industrielle Verbraucher von den Preisvorteilen Erneuerbarer Energien profitieren können und gleichzeitig der Ausbau der Erneuerbaren beschleunigt wird.

 

2. Nachweispflicht für Maßnahmen zur Flexibilisierung und Dekarbonisierung

Konstant verbilligter Strom für die Industrie ist gleichbedeutend mit einer Schwächung der wirtschaftlichen Anreize für ein marktdienliches und netzdienliches Verhalten. Dies wäre eine fatale Entwicklung hinsichtlich des Strommarktes, der aktuell vor immensen strukturellen Herausforderungen steht. Der BEE hat in seiner Studie zum Strommarktdesign aufgezeigt, wie wichtig der Ausbau von Flexibilitäten bereits in dieser Dekade ist.10 Aufgrund des hohen Zubaus von Windenergie und Photovoltaik kommt es zu einem Preisspagat: In Stunden mit hoher Erneuerbarer Einspeisung sinken die Preise stark. In Zeiträumen mit geringer Einspeisung steigen sie jedoch stark an. Um diese Spreizung zu vermeiden, müssen systematisch Flexibilitäten im Strommarkt aufgebaut werden, z.B. in Form von Batterien, Elektrolyseuren, oder Bio-Kraftwerken.11 Auch industrielle Verbraucher wie z.B. energieintensive Unternehmen müssen sich zunehmend an der Einspeisung Erneuerbarer Energien ausrichten bzw. durch Flexibilisierung dazu beitragen, Strom dann nachzufragen, wenn er günstig und reichlich zur Verfügung steht. Durch eine Dämpfung des Preissignals würde die Industrie im Gegenteil „durchlaufen“. Dies könnte in der Folge u.a. Netzprobleme verschärfen, oder durch eine Nachfragesteigerung Strompreise für andere Verbraucher ansteigen lassen. Der Vorschlag des BMWK, nur 80 % der Stromkosten zu fördern, ist ein richtiger Schritt in diese Richtung, den es weiterzuentwickeln gilt.

Ein Industriestrompreis würde ebenfalls den Anreiz zu mehr Effizienzen und zur Dekarbonisierung dämpfen. Maßnahmen wie z.B. Investitionen in Sektorenkopplung, Stromverbrauchsreduktion durch höhere Effizienzen, Umstellung auf Erneuerbare Wärme oder Investitionen in Elektrolyseure würden durch einen Industriestrompreis in den begünstigten Branchen seltener erfolgen. Dies wäre sowohl für den Klimaschutz als auch die Energiewende das falsche Signal. Deswegen gilt: Ohne strenge Kriterien bzw. starke Anreize für die Industrie, solche Investitionen zu tätigen, verlangsamt ein Industriestrompreis die Dekarbonisierung und die Sektorenkopplung. Dies gilt es zu beachten.

Bei falscher Ausgestaltung eines Subventionsregimes besteht auch das Risiko von Mitnahme- und Optimierungseffekten. Das BMWK schlägt mit seinem Brückenstrompreis vor, hier 6 Cent/kWh anzusetzen und aus dem Klima- und Transformationsfond mit bis zu 30 Milliarden gegenzufinanzieren. Das Problem hierbei ist, dass dies nicht an den realen Stromkosten des Unternehmens geknüpft ist, sondern an den Durchschnittspreis des Jahres. Somit sind Optimierungs- bzw. Mitnahmeeffekte (künstlich wie auch normal) für die Industriebetriebe möglich.

Ein Industriestrompreis würde solchen Unternehmen einen Vorteil verschaffen, die Strom beziehen, im Vergleich zu Unternehmen die andere Energiekosten haben. Dies betrifft insbesondere solche, die Gase für Hochtemperaturprozesse und Prozesswärme einsetzen müssen. Diese sollten auch einen Anreiz erhalten, ihre Prozesse auf Erneuerbare Wärme umzustellen.

BEE-Empfehlung:

Der BEE weist auf die dringende Notwendigkeit hin, Anreize zur Dekarbonisierung und zur Flexibilisierung aufrecht zu erhalten und das Risiko von Mitnahme- und Optimierungseffekten zu begrenzen. Die Bundesregierung sollte daher eine Nachweispflicht für Maßnahmen zur Flexibilisierung und Dekarbonisierung in einem Subventionsregime verankern. Zusätzlich sollte der Brückenstrompreis dahingehend gekoppelt sein, dass begünstigte Unternehmen den regionalen Ausbau Erneuerbarer Energien selbst oder über Kooperationen im regionalen Kontext vorantreiben.

 

3. Negative Auswirkungen auf Strommärkte (PPA, Terminmarkt) müssen vermieden werden

Es ist ein erklärtes Ziel der Bundesregierung, die Marktintegration von Erneuerbaren Energien über PPAs zu fördern. Jedoch hat die Strompreiskrise im letzten Jahr, gepaart mit den negativen Folgewirkungen und der Strompreisbremse dazu beigetragen, dass das PPA-Geschäft in großen Teilen ausgetrocknet ist. Ein Industriestrompreis in Kombination mit einem CfD-Förderrahmen für alle volatilen Erneuerbaren (fiktive Abschöpfung) würde den PPA-Markt noch weiter schwächen. Industrieunternehmen, die einen subventionierten Strompreis bekämen, hätten keinerlei Anreiz mehr, PPAs mit Erneuerbaren-Energie-Erzeugern abzuschließen, da sie den Strom durch staatliche Zuschüsse billiger bekämen. Das BMWK hat in seinem Konzept für den langfristig angelegten Strompreis (der „Transformationsstrompreis“) positive Vorschläge zur Förderung von PPAs für die Industrie über Bürgschaften oder Risikoprämien (S. 3) gemacht. Eine beschleunigte Förderung für das PPA-Geschäft (z.B. über eine CAPEX Förderung) sollte bereits jetzt angestrebt werden, damit dieser Markt bis zum Ende dieser Dekade seine volle Wirkung entfalten kann, vor allem wenn sich ggf. ein „Brückenstrompreis“ negativ auf diesen Markt auswirken würde.

Terminmärkte bzw. Börsenstrommärkte, auf denen vor allem industrielle Großkunden normalerweise über einen Zeitraum von mehreren Jahren im Voraus große Strommengen einkaufen, hätten ebenfalls Nachteile durch eine Strompreisbremse. Eine Subventionierung würde für industrielle Unternehmen den Anreiz nehmen, sich im Voraus Strommengen auf diesen Langfristmärkten zu beschaffen. In der Folge würde das Marktsegment der Langfristmärkte ebenfalls an Liquidität verlieren.

BEE-Empfehlung:

Bei der Ausgestaltung eines Industriestrompreises ist es unbedingt notwendig, dass der Gesetzber die Langfrist- und PPA-Märkte und die negativen Auswirkungen eines Subventionsregimes auf deren Entwicklung mitbedenkt und ggf. flankierende Instrumente für diese Märkte aufsetzt.

 

4. Klare Begrenzung des Empfängerkreises und des Zeitraums der begünstigten Unternehmen

Aufgrund der Folgewirkungen für den Strommarkt, insbesondere der Verzerrungen auf den Termin- und PPA-Märkten (siehe Punkt 3 auf Seite 8) und der negativen Verteilungswirkung und Kostensteigerungen für anderen Stromverbraucher, ist es dringend geboten, den Empfängerkreis eines Industriestrompreises so stark wie möglich einzugrenzen und deren Berechtigung nach strengen Kriterien wiederholt zu prüfen. Daher muss aufmerksam analysiert werden, wo ein Ausgleich zur Überbrückung tatsächlich zur Transformation und Dekarbonisierung einer Branche bzw. eines Unternehmens beiträgt und wo nicht. Es ist nicht sinnvoll, wirtschaftlichen Strukturwandel zu einem hohen volkswirtschaftlichen Preis für einen gewissen Zeitraum zu verhindern, sofern keine Perspektive zur Dekarbonisierung geboten ist. Generell sollten auch nur Unternehmen begünstigt werden, deren Produktion als besonders energieintensiv eingestuft wird und/oder bei denen eine Abwanderung droht (siehe EU-Beihilfekriterien für Strompreiskompensation12). Eine Subvention von Strompreisen verringert Anreize zur Dekarbonisierung und zum Ausbau von Effizienzen (siehe Punkt 2 auf Seite 7), die durch höhere Strompreise entstehen. Auch drohen bei falscher Ausgestaltung Mitnahmeeffekte, welche aufgrund der Verteilungswirkung eines Industriestrompreises unbedingt begrenzt werden müssen. Energieintensive Transformationstechnologien sollten sich für den Industriestrompreis qualifizieren.

BEE-Empfehlung:

Um eine klare Perspektive zur Transformation für die begünstigten Unternehmen sicherzustellen, sollten der Kreis von Unternehmen nach strengen Kriterien wiederholt überprüft werden. Es bedarf einer klaren Phase-Out Strategie des Industriestrompreises mit konkreten Absenkungsschritten der Förderung. Für Transformationstechnologien im Erneuerbaren Sektor, wie z.B. Produzenten von Erneuerbaren-Technologien, sollte hierbei der Transformationsbeitrag generell als vorausgesetzt gelten.

 

5. Abbau von Umlagen und Steuern müssen für alle Verbraucher geprüft werden

Es sollte zudem geprüft werden, inwiefern staatliche Umlagen und Steuern, wie die Stromsteuer, für alle Stromverbraucher abzubauen sind. Dies ist insofern sinnvoll, da auch Haushalte, Gewerbe und kleinere Unternehmen heute unter den gestiegenen Strompreisen leiden. Diese kleineren Verbraucher würden jedoch nicht von einem Industriestrompreis profitieren. Im Gegenteil, die steigende Nachfrage einiger industrieller Verbraucher, oder Effekte auf andere Marktsegmente (wie z.B. PPA oder Terminmärkte, siehe Punkt 3 auf Seite 8) würden insgesamt zu höheren Strompreisen bzw. Mehrkosten für alle anderen Verbraucher führen. Diese Verteilungseffekte innerhalb des Strommarktes gilt es sorgsam zu analysieren.

Verringerte Abgaben von Umlagen und Steuern auf den Endkundenstrompreis führen zudem zu einer Stärkung des PPA-Marktes und somit zur direkten Einbindung Erneuerbarer Energien in Stromprodukte. Dies erhöht die Akzeptanz der Energiewende, verringert die Stromkosten auch im Mittelstand und reizt dringend benötigte Verbrauchsflexibilitäten an.

BEE-Empfehlung:

Die Bundesregierung sollte den Abbau von Umlagen und Steuern schnellstmöglich prüfen. Der BEE fordert schon lange die Absenkung der Stromsteuer auf das europarechtlich mögliche Minimum.

 

6. Risiken eines Industriestrompreises über ein doppelten CfD („CfD-Pool“)

Vorschläge für einen Industriestrompreis sind häufig gekoppelt an die Forderung nach CfDs. Das BMWK sieht in seinem Konzept für den sogenannten langfristigen Transformationsstrompreis ab 2030 ein CfD-Regime vor. Das SPD-Papier möchte bereits mit Start des Industriestrompreises CfDs über einen „Pool“ einführen.13 Die Idee ist hierbei, dass der Staat als Mittler und Garant zwischen Industrie und Erzeugern auftritt, die sich freiwillig für die Auktionen melden. Durch Ausschreibungen werden (Durchschnitts-)Preise für den Industriestrom geboten und ermittelt, welche mit den Angeboten der Erneuerbaren-Erzeuger zusammengeführt werden. Über CfDs wird ein subventionsloser Pool an Erneuerbarer Erzeugung organisiert und abgewickelt.

Nach Einschätzung des BEE birgt dieser Vorschlag eines an CfDs gekoppelten Industriestrompreises verschiedene Nachteile. Zum einen ist er für EE-Erzeuger nicht besonders attraktiv, da die Erlöse nach oben gekappt werden.14 Insofern ist es fraglich, wie viele Erzeuger freiwillig an einem solchen Pool teilnehmen würden. Ansonsten ist der Vorschlag auch dahingehend kritisch zu bewerten,als dass er die Exit-Möglichkeit für Unternehmen vorsieht, nicht jedoch für die vertraglich gebundenen Erzeuger. Es ist fraglich, inwiefern für EE-Erzeuger eine Teilnahme attraktiver ist als die normale EEG-Förderung. Auch bietet speziell dieses Konzept Möglichkeiten für Mitnahme- und Optimierungseffekte für Industrien.

Sollte das Konzept einen Zwang zu CfDs für Neuanlagen (mit fiktiver Abschöpfung) beinhalten, wäre dieser Vorschlag abzulehnen, da entsprechende zusätzliche Risiken entstehen und somit den beschleunigten erneuerbaren Ausbau und den damit einhergehenden strompreissenkenden Effekt begrenzen. Ansonsten bewertet der BEE den Pooling-Vorschlag eher kritisch bezüglich seiner Umsetzbarkeit und Effektivität. Wie bereits in einer Berechnung von Enervis anhand mehrerer Szenarien belegt, ist es fraglich, ob Industrieunternehmen überhaupt einen Vorteil aus einem Transformationsstrompreis in Kopplung mit einem doppelseitigen CfD hätten.

 

FAZIT

Ein Industriestrompreis ist aufgrund der aktuellen Wettbewerbssituation nachvollziehbar, muss aber im Umfang des Empfängerkreises und hinsichtlich der Dauer der Maßnahme strikt begrenzt sein. Eine Brücke braucht Pfeiler. Zudem hilft eine „Strompreisbrücke“ nur insoweit, als dass das „Ufer“, also die ausreichende Verfügbarkeit kostengünstigen Erneuerbaren-Energien-Stroms beschleunigt erreicht wird. Ein Industriestrompreis muss also an die sogenannte Grüne Konditionalität gebunden sein. Negative Folgen für den Strommarkt und nachteilige Auswirkungen auf die Dekarbonisierung und Flexibilisierung von Industrieunternehmen gilt es unbedingt zu vermeiden.

Bereits heute führt die Debatte beispielsweise zu einer Zurückhaltung der Marktteilnehmer*innen beim Abschluss von PPAs. Gleichwohl ist eine OPEX-Förderung generell sinnvoll, auch um Zukunftsindustrien wie z.B. Teile der PV-Industrie in Deutschland wieder anzusiedeln bzw. neue Technologien anzuziehen. Die Energiewende darf nicht verlangsamt, sondern muss beschleunigt werden. Nur der schnellere Ausbau der Erneuerbaren Energien wird Preis- und Versorgungssicherheit gewährleisten.

 

 

1 Arbeitspapier des BMWK zum Industriestrompreis für das Treffen Bündnis Zukunft der Industrie „Wettbewerbsfähige Strompreise für die energieintensiven Unternehmen in Deutschland und Europa sicherstellen“, vom 05.05.2023 bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/W/wettbewerbsfaehige-strompreise-fuer-die-energieintensiven-unternehmen-in-deutschland-und-europa-sicherstellen.pdf?blob=publicationFile&v=6

2 Das BMWK nennt diesen langfristig angelegten Strompreis ab 2030 „Transformationsstrompreis“. Jedoch wird dieser Begriff in der politischen Debatte (siehe z.B. Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion) häufig für den subventionierten Industriestrompreis verwendet.

3 Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion „Drei Weichenstellungen für wettbewerbsfähige Strompreise jetzt und in Zukunft“, vom 28.08.2023 https://www.spdfraktion.de/system/files/documents/position-weichenstellungen-wettbewerbsfaehige-strompreise.pdf

4 https://www.medienservice.sachsen.de/medien/medienobjekte/116021/download

5 Mit „Industriestrompreis“ ist fortfolgend der Vorschlag eines „Brückenstrompreises“ gemeint, also einer Subventionierung des Strompreises für energieintensiven Industrieunternehmen von 6 ct/kWh bis 2030. An den Textstellen, an denen ein Transformationsstrompreis angesprochen wird, also ein langfristiger Strompreis ab 2030, wird dies explizit erwähnt.

6 PPAs sind langfristige Vereinbarungen zwischen einem Abnehmer und einem Erzeuger, um Erneuerbare Energien zu einem festgelegten Preismechanismus, wie z.B. einem Fixpreis, zu liefern.

7 Für politische Handlungsempfehlung für den Ausbau von Flexibilitäten, siehe das BEE-Positionspapier „Kraftwerksstrategie zu einer ganzheitlichen Flexibilitätsstrategie weiterentwickeln“ https://www.bee-ev.de/service/publikationen-medien/beitrag/kraftwerksstrategie-zu-einer-ganzheitlichen-flexibilitaetsstrategie-weiterentwickeln

8 Siehe Ergebnisse des Koalitionsausschusses vom 28. März „Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung“ https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Beschluesse/20230328_Koalitionsausschuss.pdf

9 Für die Windenergie sind die Überfüllung des Flächenziels und zusätzliche Ausweisungen von „besonderen Flächen“ wie z.B. Industrie- und Gewerbegebiete im Baugesetzbuch (Bau GB) wichtig (siehe BWE Stellungnahme Bau GB, S.15), ebenso wie die Gemeindeöffnungsklausel (BWE Stellungnahme zum Bau GB, S.12). Für Solar-, Geothermie und Biogas/Biomethan sind ebenfalls baurechtliche Vereinfachungen erforderlich (Außenbereichsprivilegierung nach § 35 BauGB; siehe BEE-Beschleunigungspaket zum Bau GB ab S.13 ff). Mit Änderungen im Erneuerbaren Energiegesetz (EEG) und der „Bundesförderung Energie- und Ressourceneffizienz in der Wirtschaft“ (EEW) unterstützen Unternehmen ebenfalls dabei, auf Erneuerbare Energien umzustellen (siehe BEE-Beschleunigungspaket, S.28). Im Bereich des Gewerbesegments hat die Solarwirtschaft ihrerseits Verbesserungsvorschläge im Solarpaket I eingebracht (siehe BSW-Stellungnahme zum Solarpaket I, S.10).

10 Siehe BEE Studie Neues Strommarktdesign für die Integration fluktuierender Erneuerbarer Energien https://www.klimaneutrales-stromsystem.de/pdf/20211213_BEE_Kurzversion_der_Studie_Neues_Strommarktdesign.pdf

11 Siehe das BEE-Positionspapier „Kraftwerksstrategie zu einer ganzheitlichen Flexibilitätsstrategie weiterentwickeln“ https://www.bee-ev.de/service/publikationen-medien/beitrag/kraftwerksstrategie-zu-einer-ganzheitlichen-flexibilitaetsstrategie-weiterentwickeln

12 In 2021 waren in Deutschland 341 Unternehmen nach Anwendung der Kriterien Energieintensität und Carbon Leakage-Risiko beihilfeberechtigt zur Kompensation der indirekten CO2-Kosten des Emissionshandels (Strompreiskompensation), siehe: https://www.dehst.de/SharedDocs/news/DE/SPK-Auswertungsbericht.html

13 Das CfD-Pool Konzept basiert auf einem Vorschlag des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), siehe https://www.econstor.eu/bitstream/10419/262287/1/Erneuerbaren_CfD_Pool.pdf.

14 Für eine Kritik an CfDs siehe „BEE-Analyse: Auswirkungen einer möglichen Einführung von Contracts for Difference (CfD) auf Erneuerbare Energien im Strommarkt“ https://www.bee-ev.de/service/publikationen-medien/beitrag/bee-analyse-auswirkungen-einer-moeglichen-einfuehrung-von-contracts-for-difference-cfd-auf-erneuerbare-energien-im-strommarkt

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Dr. Matthias Stark
Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. (BEE)
Leiter Fachbereich Erneuerbare Energiesysteme


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